Thüring Bräm. Nach einem Gespräch mit Ernst Levy 11 May 2010

 

Die folgenden Passagen basieren auf einem Gespräch mit Ernst Levy anlässlich seines Komponistenportraits vom 25.Januar 1980 in der „Kammerkunst Basel“.

"... (Hans Hubers) D-dur-Klavierkonzert wurde von einem 15jährigen Basler gespielt, der damals schon Aufsehen zu machen begann, dem hochbegabten Huberschüler Ernst Levy." Das lese ich in Wilhelm Merians Hermann Suter-Biografie über ein von Suter dirigiertes Konzert 1910. Ich wusste, dass der Name Ernst Levy in Universitätskreisen der USA ein Begriff war. In den Archiven der Musikkreditkommission Basel stiess ich auf Manuskripte (wie eine 15. Sinfonie!), damals unaufgeführt. Wer war Ernst Levy?

Levy wurde am 18. November 1895 in Basel geboren. Er war Schüler von Hans Huber, Lehrer für Klavier am Konservatorium Basel von 1916 – 1920. Dann verliess er Basel, weil er sich wie "Kaffeesatz" fühlte. Erst 1974 kehrte er als staatlicher Experte der Diplomprüfungen am Konservatorium nach Basel zurück. 1928 hatte Levy den ‚Choeur Philharmonique de Paris’ gegründet. Nachdem er auch seines Namens wegen in der Schweiz keinen Fuss mehr fassen konnte, emigrierte er u.a. aus politischen Gründen in die USA. Dort wird er u.a. Carnegie Visiting Professor of Humanities am Massachusetts Institute of Technology. Mit seiner Frau verbringt er seine späten Jahre in Morges am Genfersee, geistig aktiv wie eh und je.

Ernst Levy schreibt einen ihm absolut eigenen Stil. Herausgewachsen aus spätromantischer Umgebung, verlässt er konsequent das Harmoniegebundene, strebt nach dem Linearen, der Melodie und dem melodischen Kern, erweckt mittelalterliche Sequenzen im Organalstil  wieder zum Leben neben strengen kontrapunktischen Techniken. Volksliedhaftes taucht auf, nicht ironisierend oder als übersteigertes Zitat, sondern eher als "primäre Klangfigur". Wen er als Vorbild habe? Diese Frage findet er nicht richtig gestellt. Vorbilder hat er keine, aber er fühlt sich in seiner Art, musikalisch zu denken, andern verwandt: z.B. Mahler, dessen Zeitgeist er sich am nächsten fühlt. Strawinsky liegt ihm zu fern. Das ist für ihn eine Sackgasse: "C'est de la musique qui ne marche pas, c'est de la musique qui piétine" („Das ist keine Musik, die vorwärts geht, das ist Musik, die stampft“); da gibt es zu wenig Ein- und Ausatmen. Auch Schoenbergs Zwölftontechnik liegt ihm fern. Für Levy ist er der einzige Komponist, der eine Kompositionstheorie entwickelt  und sie späterhin überhaupt nicht unterrichtet hat und unterrichten wollte. Levy hat Monteverdi gern, bei dem das Poetische und das Musikalische auf gleicher Ebene stehen. Und er fühlt  eine starke Verwandtschaft zu der aus dem Melodischen herausgewachsenen Dissonanz-  und Konsonanzspannung des 13. Jahrhunderts.

Also ist die heute gespielte "Sonate strofica" keine "Sonate" im klassischen Sinn? Nein, sie ist eher ein klingendes Stück im ursprünglichen Sinne des "Tönens", des "suonare". Aus einer einfachen Grundformel, einer primären Klangform, entwickelt sich das Stück nach allen Richtungen ausstrahlend wie ein Klangfächer. Im letzten Satz der "Sonata strofica", einem Unisono-Streichtrio, schliesst sich dieser offene  und in verschiedensten Winkeln gehaltene und bewegte Fächer.

Die Logik der Entwicklungen in Levys Musik ist stets rein musikalischer Natur und Ableitung. Das Multimediale ist Levy fremd, es interessiert ihn nicht. Er meint, dass schliesslich alles eine Frage der Metaphysik sei. Er glaubt an die Axiome, die seine Musik rechtfertigen, obwohl ihm klar ist, dass er am Ende einer Kultur steht. Sein gegen die konstante Überschwemmung mit Hintergrundmusik gerichteter Aphorismus : "Il faut penser musique tout le temps, en faire beaucoup, en écouter peu" ("Man sollte ständig musikalisch denken, viel spielen, wenig hören"), ist bezeichnend für seine Philosophie. Diese Überzeugung prägt auch Levys Musik und gibt ihr einen eigenen persönlichen  Stil.

Thüring Bräm, 25 Jan.1980 / Februar 2011

 

 

Comments

Log in to post a comment